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Terzakis, Dimitri
composer
„Die Mitteleuropäer konstruieren. Die Südländer singen. Ich singe.“
Dimitri Terzakis, am 12. März 1938 in Athen geboren als Sohn des bekannten griechischen Schriftstellers Angelos Terzakis, steht heute wie kaum ein anderer für eine interkulturelle Musik, die zwischen Mitteleuropa und dem Mittelmeerraum Brücken schlägt; für eine Musik, die, längst als starker Personalstil etabliert, die Grenzen von Dogmen und strenger Schulbildungen der sogenannten Avantgarde überschreitet.
Seine Musik „singt“, wie der Komponist selber sagt, sie sucht die Befruchtung bis heute fremd zueinander stehender Kulturräume, und sie erklingt in den wichtigsten Konzerthäusern der Welt. Von den mitteleuropäischen Traditionen des Serialismus und des Bruitismus hebt sich Terzakis‘ Musik ab durch die Melodik, die er zum hauptsächlichen Merkmal seiner Werke macht, in all ihrer Vielfalt und all ihren Dimensionen.
„Mit der Zeit lernte ich, meine eigene Sprache zu benutzen“
Für das Studium zieht Terzakis nach Köln. Zuvor studierte er Komposition bei Yannis Papaioannou, setzt nun seine Ausbildung fort bei einer der entscheidenden Figuren der jüngsten Musikgeschichte, Bernd Alois Zimmermann. Dessen Einfluss auf den jungen Athener Komponisten ist stark: „Bernd Alois Zimmermann brachte mir Disziplin bei im Umgang mit dem musikalischen Material. Ich verdanke ihm viel. Er ermutigte mich, meinen eigenen Weg weiter zu verfolgen, wiewohl er selber ein Serialist war“, berichtet Terzakis. Diese Ausbildungszeit hilft ihm, seinen musikalischen Idealen treu zu bleiben in einer Zeit, die von ideologischen Grabenkämpfen geprägt zu sein scheint. „Mit der Zeit lernte ich, meine eigene Sprache zu benutzen, ohne Angst vor der ästhetischen Diktatur der Darmstädter“, sagt Terzakis rückblickend in Anspielung auf die experimentellen Strömungen, für welche die Internationalen Ferienkurse für Neue Musik in Darmstadt stehen.
„Den Darmstädtern“ steht Terzakis niemals nahe. Die Errungenschaften der Avantgarde anerkennend, macht er später als Kompositionslehrer seine eigene, sehr persönliche Perspektive zur Prämisse des Unterrichtens und der Arbeit an den Hochschulen mit den jungen Künstlern. Wichtig sei, dass durch die Ausbildung „ein Komponist zur selbstständigen Persönlichkeit wird“. Als Lehrer habe er darum immer versucht, die Studenten „von der Last antiquierter Theorie zu befreien, damit sie auf eigenen Füßen laufen können“ – die künstlerische Eigenständigkeit der Studenten liegt Terzakis am meisten am Herzen.
Seine Arbeit als Kompositionslehrer nimmt er 1985 auf als Gastprofessor an der Hochschule der Künste in Berlin. Dieser einjährigen Unterrichtstätigkeit folgt eine Professur für Komposition in Düsseldorf im Jahr 1989, ein Jahr später eine in Bern. Dort bleibt er über sieben Jahre.
„Ich bin stolz, dass keiner meiner Schüler komponiert so wie ich“
Seine hauptsächliche Unterrichtstätigkeit findet schließlich in Leipzig statt. An der hiesigen, geschichtsträchtigen Hochschule für Musik und Theater „Felix Mendelssohn Bartholdy“ lehrt er von 1994 bis zu seiner Emeritierung. Hier fühlte sich Terzakis besonders wohl. „Man ließ mir alle Freiheiten, meine Unterrichtskonzepte zu realisieren, ganz ohne die Hindernisse, die an akademischen Institutionen sonst so üblich sind.“
Die umfangreiche Tätigkeit als Lehrer prägt schließlich auch seine kompositorische Arbeit: „Der Unterricht stellte mich auch vor Probleme und vor Fragen, die ich im Interesse der Studenten lösen musste – davon lernte ich sehr viel.“ Zu seinen Schülern in Leipzig gehören heute so wichtige Namen wie Thuon Burtevitz, Jean-Luc Darbellay, Spyros Mouchagier, Aristides Strongylis, Andrés Maupoint. „Ich bin stolz, dass keiner meiner Schüler so komponiert wie ich“, zieht Terzakis glücklich Resümee.
„In Leipzig fühle ich mich wohl“
Die Stadt Leipzig fasziniert den vielgereisten Komponisten, ihre Geschichte, ihre Kultur, die Mentalität ihrer Bürger. Ob es eine bestimmte Art und Weise gibt, wie man in Leipzig der 1990er-Jahre Musik schrieb? „Ost- und Westdeutsche sind Kinder derselben kulturellen Tradition. Wie auch immer jemand hier oder dort komponiert, ist legitim.“ Kurz pausiert Terzakis, dann ergänzt er anerkennend: „Aber die Menschen in Leipzig sind noch nicht hart geworden vom Wohlstand.“ Ein großes Kompliment von einem, der von sich sagt, er konstruiere nicht, er „singe“.
Als Komponist und Bürger bleibt er Leipzig verbunden. Zwar lebt und arbeitet Terzakis auch in der griechischen Hafenstadt Nafplio. Doch sein Bezug zur sächsischen Bach- und Mendelssohn-Stadt ist ungebrochen.
Zum einen sei da der besondere Charakter dieses Ortes. „In Leipzig fühle ich mich sehr wohl. Ich teile meine Zeit zwischen Leipzig und Griechenland. Weswegen ich so gerne in Leipzig bin, liegt wohl auch an seiner Geschichte und seinem historischen Glück, im Krieg nicht vollständig zerstört worden zu sein. Die historische Architektur der Stadt sagt mir sehr zu und die Leipziger Kaffeehauskultur steht mir als Südländer sehr nah.“
Zum anderen ist da die kulturelle Welt (wiewohl beim hiesigen Gewandhausorchester seine Noten noch nicht auf den Pulten lagen). In Leipzig ist Terzakis gefragt. Sogar der berühmte Thomanerchor führte seine Musik auf. „In den Thomanern fand ich verständnisvolle, erstklassige Interpreten mit offenem Horizont“ – wiewohl sich Terzakis im Kontext deren Repertoires als „stilistischen Fremdkörper“ beschreibt. „Wie die Knaben diese Herausforderungen überwanden, fast mühelos, das imponierte mir sehr.“ Auch Steffen Schleiermachers Konzertreihe „musica nova“ im Gewandhaus ist Terzakis eng verbunden.
Die Integration stilistischer Fremdkörper könnte als sein zentrales künstlerisches Anliegen aufgefasst werden. In der bewegten französischen Kolonialgeschichte (von der sich Terzakis rigoros distanziert wissen will) sieht er ein gutes Beispiel für solche „Berührung mit anderen Kulturen“. Deren positiver Nebeneffekt sei gewesen, dass es wohl kaum zufällig französische Komponisten waren wie Claude Debussy, Maurice Ravel, Olivier Messiaen, Darius Milhaud oder André Jolivet, die ihre schöpferische Denkweise von den Eindrücken fremder Kulturen beeinflussen ließen – und wohl kaum stellt jemand deren kompositorische Meisterklasse in Frage.
„Ungeahnte Möglichkeiten“
So wurzelt auch Terzakis‘ musikalische Sprache in Musikkulturen, die außerhalb Europas liegen, im musikalischen Kosmos Griechenlands und des östlichen Mittelmeerraums. Niemand würde Terzakis einen bloßer Nachahmer alter Traditionen seiner Heimat nennen. Und doch bekennt er sich zu manchen derer tonsetzerischen und auch auratischen Elemente, macht sie seiner Musik bewusst zu eigen, um eine eigene Ausdrucksweise zu entwickeln, in der horizontale, also melodische Bildungen überwiegen. Diese Melodik bedient sich nicht des temperierten Systems der abendländischen Musik, sondern verwendet in vielfältigen horizontalen Operationen Mikrointervalle, Tonschritte, die kleiner sind als die in der mitteleuropäischen Musikgeschichte tradierten sogenannten kleinen Sekunden.
Gerne beschreibt Terzakis seine Musik als eine Art „Bluttransfusion“ in die Adern der abendländischen Musik, die durch jahrhundertelange Isolation von den großen ost- und außereuropäischen Musikkulturen in eine „Sackgasse“ geraten sei.
In den Werktiteln werden Terzakis‘ Bezugnahmen besonders deutlich. Oft verweist er auf historische Texte, auf antike Mythologien, auf die Bibel – man denke an Daphnis und Chloe (1993/94, für Sopran und Viola), an Das sechste Siegel (1987, für gemischten Chor und Instrumentalensemble), Dialoge im Hades (2011, für Fagott und Klavier), Die Reden Gottes nach Hiob (2007, für Sprecher, gemischten Chor und Orgel), Gesang des Bacchos (1997, für Bläseroktett), Odyssee (1977/84, für 3 Solostimmen, Erzähler, gemischten Chor und Kammerorchester) oder Über Platon (2007/2008, für Mezzosopran und Streichorchester). Weitere mehr könnten aufgezählt werden.
„Mich interessieren neue Formen des Musiktheaters“
Als ein neues Beispiel sind Die Irrfahrten des Odysseus (2010, für Ensemble, Sopran, Sprecher und Laterna-magica-Bilder) zu nennen, seine jüngste Auseinandersetzung mit dem Musiktheater. „Mich interessieren neue Formen“, sagt Terzakis. Er sucht einen frischen Zugang zur etwas verstaubt anmutenden Gattung Oper, bleibt dabei seiner Lust an mythologischen Stoffen treu – und überschreitet auch formal die Grenzen des Genres, indem er sich auf historische Techniken und Modelle bezieht. „Die alte Rhapsodenkunst, die man aus Märchenerzählungen, Melodramen, von den Troubadouren usw. kennt, eröffnet mir dabei ungeahnte Möglichkeiten.“
Ob er sein Spätwerk denn nun ausschließlich der Bühnenmusik widmen wolle? Terzakis verneint und betont, „meine Anziehung zur Kammermusik ist ungebrochen – denken Sie beispielsweise an mein neues Klavierquartett Nómos dorikós für die Berliner Philharmoniker.“